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Buchrezension

Buchrezension – Internet: Segen oder Fluch?

Oder „Der 3-beinige Wombat im Bikini“


Ein neues Buch von Kathrin Passig und Sascha Lobo und was für ein Titel. Ich meine den echten Buchtitel. Er hat etwas Religiöses und verspricht Langeweile wie bei einem philosophischen Disput, dem kaum jemand folgen kann. Doch zum Glück kommt es anders! Das ist ein Buch der „Völkerverständigung“! Ein Buch über Skeptiker und Optimisten des Internets und auch für die, die ständig die Lager wechseln. Da heute immer weniger ohne Internet geht, ist Verständigung absolut notwendig.

Digitale Veränderungen

Bewusst untersuchen die Autoren entgegengesetzte Positionen zum Thema Internet kritisch und sammeln inhaltsreich Argumente für verschiedene Auffassungen. Das deklinieren sie anhand gängiger Argumentationsmuster durch, von denen die gegenwärtige Diskussion um digitale Veränderungen geprägt ist. Da geht es um:

  • die Informationsüberflutung,
  • die Beschleunigung,
  • die Schwarmintelligenz,
  • die Urheber- und Verwertungsdebatte,
  • den Datenschutz und
  • die digitale Demokratie.

Von gefühlten Tatsachen und Totschlag-Argumenten

Es geht um dominante Wortbilder, die unsere Auffassungen zu einem Thema prägen wie „Raubkopie“ und „Contentmafia“ (40), die einen gewalttätigen Vorgang suggerieren, und sogenannte Narrative – anekdotische Zusammenhänge und Behauptungen – die so einprägsam sind, dass sie sich in „gefühlte Tatsachen“ verwandeln. In der Regel führt diese Art von Argumentation zu einer unsachlichen Diskussion. Wir alle kennen Totschlag-Argumente wie „Anonymität im Internet verschlechtert die Qualität der Diskussion“. An diesen Stellen tragen die Autoren Fakten zusammen und ermöglichen so eine erfrischend neue Sicht auf die Dinge. Das benannte Narrativ ist übrigens wissenschaftlich untersucht und widerlegt worden: Die Anzahl negativer Äußerungen ist in anonymen Kommentaren und in denen mit Klarnamen konstant!

Empörungsentzündlich

Trotz des komplexen Themas schaffen es die Autoren mit gewohntem Wortwitz und guter Argumentation für Unterhaltung zu sorgen, beispielsweise mit Wortschöpfungen wie „empörungsentzündlich“. Wirklich angenehm ist, dass sie sich selbst auch nicht schonen. Da steht beispielsweise unter „Die hundert verschrobensten Internet-Vergleiche“ ein Zitat von Sascha Lobo: „Das Internet ist ein 3-beiniger Wombat im Bikini“

500 Jahre sind nicht zu viel

Und sie gehen mal in die Tiefe. 500 Jahre Rückblick sind den Autoren nicht zu weit, um zu zeigen, dass es um Phänomene geht, um die sich schon unsere Altvorderen gestritten haben. Das Neue war immer unfassbar und unvorstellbar für eine Generation. Wir erleben heute nur, dass dieses Rad sich immer schneller dreht. Oder können Sie sich vorstellen, dass DIE GRÜNEN noch 1984 beschlossen haben, in ihren Büros keine Computer zuzulassen, weil die angeblich Arbeitsplätze zerstören würden? Das kommt uns heute vor wie Bilderstürmerei, weil wir einen Büroarbeitsplatz ohne Computer als so fehlausgestattet empfinden wie ein Auto ohne Räder. Aber es ist immer schwer, das Neue vorauszudenken, weil es ja noch nicht da ist und die Gewohnheiten sich erst ändern.

Nehmen Sie Abstand für den besseren Überblick

Schön ist, dass es ein Buch ist. Es fordert Aufmerksamkeit und Ruhe. Das hilft, sich dem Thema einmal unaufgeregt zu nähern. Es hilft dabei, sich eine ausgewogene Meinung in der überhitzten Diskussion zu bilden. Es erlaubt Abstand von dem gewohnt hektischen Fluss digitaler Informationen und lässt Zeit für einen tieferen Blick in die Veränderungen. Und es lässt genug Platz, um etwas mehr vom Ganzen zu erfassen. Deshalb unser Tipp: Lesen! Für Fans von Tablets und Readern gibt es übrigens auch die E-Book-Variante.

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