Das ist ein Gast-Beitrag von E-Commerce-Expertin Heide Baumers. Mit ihrem Onlineshop-Kompass unterstützt sie Betreiber von Onlineshops dabei, sie erfolgreicher zu machen.
Im Buch „Praxiswissen E-Commerce – das Handbuch für den erfolgreichen Onlineshop“ geben die Autoren Tobias Kollewe und Michael Keukert auf knapp 700 Seiten einen Einblick in die vielen unterschiedlichen Entscheidungsmöglichkeiten, mit denen der heutige Onlineshop-Betreiber den Vertriebskanal Internet gewinnbringend gestalten kann.
Bereits im Titel findet sich der Hinweis, dass erfolgreiche Onlineshops E-Commerce benötigen, also eine umfassende Strategie, um heute im Internet verkaufen zu können.
Alles in allem ist der im September 2016 in zweiter Auflage im O’Reilly-Verlag erschienene Praxisleitfaden eines der besten und aktuellsten Werke für deutschsprachige Onlineshops, die es meiner Meinung nach momentan gibt. Vielen Onlinehändlern wird er Orientierung und Hilfe geben, auch wenn zusätzliche Unterstützung von Agenturen oder Beratern nötig werden kann.
Die Halbwertszeit eines solchen Buches ist schwierig einzuschätzen, aber in der Regel relativ schnell erreicht. Ergänzend sollte man die bekannten E-Commerce Informationsplattformen im Auge behalten, bei denen man sich im Internet belesen kann, wie z.B. Selbständig im Netz oder t3n.
Das Buch richtet sich an drei Zielgruppen:
- Einsteiger im Onlinehandel,
- nicht profitable Onlineshop-Betreiber und
- E-Commerce Durchstarter-Shops, die den nächsten großen Wachstumsschritt vor sich haben.
Geeignet für E-Commerce Durchstarter-Shops
Meiner Einschätzung nach nutzt dieses Buch vor allem den E-Commerce Durchstarter-Shops. Wer bereits die Onlineshop-Basics gut beherrscht und weitere Verbesserungsmöglichkeiten sucht, hat hier ein Werk in den Händen, das einem einen guten Überblick über die große Klaviatur der attraktiven und profitablen Möglichkeiten eines Onlineshops gibt. Der immer wiederkehrende Hinweis der Autoren, im Zweifelsfall die Agentur für eine Beratung zu befragen ist wichtig, aber für Klein- und Mittelständler vermutlich wegen fehlendem Investitions-Budgets nur bedingt realisierbar.
Ein Nachschlagewerk
Ein einziges Buch kann nicht alle Fälle und Ausgangssituationen der verschiedenen Onlinehändler in den vielen Branchen und Unternehmensformen abbilden. Dazu gibt es zu viele Elemente und Kombinationsmöglichkeiten. Für einen Großteil der heterogenen Zielgruppe für „Praxiswissen E-Commerce“, vor allem die Einsteiger und interessierten Onlinehändler, wird das Buch hauptsächlich als Informationsquelle zu Stichwörtern und als Nachschlagewerk dienen.
Gliederung des Buches
Das Buch gliedert sich in drei große Themenblöcke: Zunächst wird die Phase der Shop-Planung und -konzeption beleuchtet. Im zweiten großen Kapitel geht es um die Ausgestaltung des eigentlichen Shops, wie er später im Netz aktiv betrieben und in dem der Kunde sich tatsächlich bewegen wird. Der 3. Abschnitt beschäftigt sich mit Online-Marketing, das zum Ziel hat, mehr Besucher und Abverkäufe in den Online-Kanälen zu generieren. Das Buch schließt mit einem Ausblick auf die Branche E-Commerce und den deutschen Onlinehandel insgesamt. Gut gelungen ist die Struktur und Benennung der einzelnen Unterkapitel. Jedes hat ganz konkrete thematische Empfehlungen zu Software, Design- oder Textgestaltung. Häufig findet man auch Durchschnittskennzahlen als Orientierungshilfe für das eigene Berichtswesen.
Erhellende Momente
Für mich persönlich gab es viele erhellende Kapitel, wovon ich hier drei beispielhaft nennen möchte.
Logistik und Versandkosten
Neben konkreten Richtwerten für Lagerkosten wird in diesem Buch ganz konkret auf Packlink als Versandkosten-Broker hingewiesen. Hier gibt man Eckdaten des geplanten Versands ein und erhält passende Vorschläge nach Preis und Liefergeschwindigkeit sortiert. Das ist ein hilfreiches Tool, wenn man noch im Aufbau ist und keine besonderen Konditionen mit einem Versandhändler ausgehandelt hat. Gut ist auch die Idee, das Amazon Prime Prinzip auf den eigenen Shop zu übertragen:
- Kommen Ihre Kunden immer wieder?
- Belohnen Sie Ihre besten Kunden mit einer Lieferkosten-Pauschale?
Da der Kunde nicht ständig die Gebühren vor Augen hat, gibt das einen zusätzlichen Anreiz, einen Mindestumsatz zu tätigen.
Search
Das Such-Eingabefeld bei Google oder Amazon ist das wichtigste Feld, um zu wissen, was der Kunde sucht und braucht. Es gibt spezialisierte Software, die nur diese Suche auf ihren Shop-Webseiten optimiert. Das Thema ist nicht zu unterschätzen und eines der wichtigsten überhaupt, da dies der gewünschte Königsweg zum Kunden ist. Häufig durfte ich Diskussionen über die Shop-Navigation beiwohnen. Dabei es ging hin und her, welche Kategorie nach oben gesetzt wird, so dass der Kunde sich möglichst schnell zurechtfindet. So kümmert man sich jedoch um das falsche Ende. Der Kunde ist es gewohnt, eingeben zu können, was er sucht, und dann sollten sinnvolle Ergebnisse angezeigt werden und keine leere Seite, wie es so häufig in der Realität der Fall ist. Es ist clever, sich die Eingaben der Kunden in regelmäßigen Abständen anzusehen, da man so erkennt, was die Kunden im Shop suchen und wahrscheinlich auch kaufen würden.
Marketing Ansatz „See- Think-do“
In der Literatur zu den heutigen Online-Marketing-Tools findet man sehr häufig keinen Überblick, wann welches Instrument verwendet werden sollte. Hier schafft der Ansatz von Avinash Kaushik aus dem Jahr 2013 Abhilfe. Man kann die im Buch aufgeführte Matrix (S. 409) für den eigenen Onlineshop ausarbeiten und somit seine eigene Online-Marketing-Strategie konkret planen und umsetzen. So ist beispielsweise Social Media vor allem für diejenige Zielgruppe relevant, die grundsätzlich ein bestimmtes Produkt gebrauchen könnte, also in der See-Phase ist. Später sind die Käufer, also die Kunden in der Do-Phase am erfolgreichsten mit Retargeting, Affiliate oder klassischen E-Mails anzusprechen.
Empfehlung von Amazon
Kritisch sehe ich den sich wiederholenden Hinweis auf Amazon. Grundsätzlich ist die Empfehlung gut und wichtig, aber KMU, Einsteiger und Interessierte kann das überfordern. Den eigenen Shop und Amazon gleichzeitig zu bedienen, ist keine triviale Angelegenheit und erhöht die zu bewältigende Komplexität. Auf Amazon zu verkaufen mag auf den ersten Blick selbsterklärend sein, aber um auf dem größten Marktplatz profitabel bestehen zu können, braucht es mehr als dieses Buch.
Denn für den eigenen Shop geht es innerhalb von Amazon ebenso wie bei Google um die Sichtbarkeit der eigenen Produkte. Wie man auf die vorderen Rankings im Amazon-Universum gelangt, ist ähnlich wie bei Google ein Wissensfach für sich. Und die Konkurrenz ist bei vielen Produkten riesig. Wenn man beispielsweise den 45.776-sten Bikini anbieten will, wie kann man sicherstellen, dass dieser auch gefunden wird? Wenn man nicht weiß, wie man hier Sichtbarkeit erreicht, wird der Artikel einfach in der Angebots-Masse untergehen.
Woo-Commerce fehlt
Was mich etwas überrascht hat war, dass das Content-Management-System (CMS) WordPress in der Kombination mit Woo-Commerce (die Shop-Software von WordPress) nirgends erwähnt wird. Man kann daraus schließen, dass die Autoren wahrscheinlich überhaupt nicht von diesem Ansatz überzeugt sind? Gerade für die oben erwähnten kleinen Händler, die den Shop nebenbei betreiben oder für die sich höhere IT-Investitionen nicht lohnen, bietet WordPress eventuell eine kostengünstige Lösung. Bei Abverkäufen und Besucherzahlen in überschaubaren Höhen müsste die Leistungsfähigkeit doch ausreichend sein. Mich hätte die Einschätzung der Autoren zu diesem Thema sehr interessiert.
Zum Marktumfeld
Der deutsche Onlinehandel befindet sich in einer Konsolidierungsphase beziehungsweise bewegt sich stark darauf zu. In der E-Business Statistik von 2015 (www.ibusiness.de) wird rechnerisch dargestellt, dass von den geschätzten 550.000 aktiven Onlineshops in Deutschland 99% der Händler weniger als 1.500 Euro Verdienst jährlich im Durchschnitt erwirtschaften. Von den 47 Milliarden Euro Jahresumsatz teilen sich neben Amazon als unangefochtenem Primus die 1000 größten Onlineshops 70% des Absatzvolumens. Hinzu kommt, dass ein Großteil derjenigen, die momentan in Deutschland agieren, das nicht kostendeckend tun. Das bedeutet, die Warenbewegung, also die Menge, die abverkauft wird, ist zu gering und es wird zu wenig Profit pro Produkt erwirtschaftet. Die Preisschlachten und Margen-Minimierung sind häufig mehr ein Ausdruck der betriebswirtschaftlichen Verzweiflung der Shop-Betreiber als wirklich ein aktiver Marktverteilungskampf. Auf Dauer kann die Situation so nicht bestehen bleiben, da zu viele Händler nicht davon leben können.
Fazit
Das Buch verdeutlicht eindrucksvoll, dass ein erfolgreicher Onlineshop viel Arbeit mit sich bringt und gut geplant sein will. Insgesamt informiert es schnell und konkret über ein Problem und den Nutzen einer vorgeschlagenen Lösung. Vor allem erfahrene Onlineshop-Betreiber werden hier tolle, noch nicht bedachte Ideen und Hinweise finden. Neben den vielen guten Informationen ist der Detailgrad des Buches leider auch sein Nachteil. Obwohl 700 Seiten Praxiswissen vorliegen, benötigt man an mehreren Stellen weiterführende Literatur. Das Gute ist, dass man das Themenfeld nach Lektüre zumindest korrekt im richtigen Fachjargon benennen kann. Die vielen Handlungsmöglichkeiten sind nicht mit einer Einschätzung von Wichtigkeit versehen. Das kann dazu führen, dass man sich verloren fühlt mit der Frage, wo konkret man anfangen kann.
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Zusammenfassend ist das Buch für viele Onlineshop-Betreiber grundsätzlich sehr empfehlenswert, vor allem für diejenigen, die Wege suchen, noch viel mehr besser zu machen. Wer fünf- und sechsstellige Investitionssummen bereithält, der findet viele Anregungen, wie er das Geld sinnvoll einsetzen kann. Einsteiger und Interessierte finden ein Nachschlagewert für die wichtigsten Themen, die einem beim Betrieb eines Onlineshops begegnen. Für Händler, die bei Amazon starten, empfehle ich, zusätzliche Seminare und Bücher zu nutzen.